Die vergessenen Juden von Thessaloniki: Überall Schatten

Die Juden Thessalonikis haben ihre Geschichte verloren. Nicht nur ist das jüdisch geprägte Zentrum für immer vernichtet, nicht nur hat man fast alle von ihnen ermordet, nicht nur ist ihr Friedhof zerstört und nicht nur ist ihre Sprache verschwunden. Auch ihre schriftlichen Überlieferungen sind gestohlen. Als eine ihrer ersten Aktionen plünderten die Nazis 1941 mit ihrem „Kommando Rosenberg“ alle jüdischen Bibliotheken und Archive der Stadt und entführten das Material nach Deutschland. 1945, nach der Befreiung nahmen es die So­wjets mit nach Moskau, und dort liegt es, allen Verhandlungsversuchen zum Trotz, noch immer.

Quelle: Die vergessenen Juden von Thessaloniki: Überall Schatten – taz.de

Tagebuchnotizen von Rio Reiser: „Die, die einfach sind wie Mädchen“

Ein gutes Tagebuch müsste auch ein gutes Buch sein. Ein gutes Tagebuch müsste jeder lesen können.“ So lautet ein Eintrag, den Ralph Möbius, bekannter unter dem Namen Rio Reiser, am 9. Februar 1974 in seinem Notizbuch vornimmt. Zuvor schreibt er, wie ihn Selbstzweifel quälen, wie er viel zuviel Angst und viel zu wenig Liebe in sich verspüre. „Horrorgedanken“, sagt er selbst dazu.

Quelle: Tagebuchnotizen von Rio Reiser: „Die, die einfach sind wie Mädchen“ – taz.de

Essay: Marxisten und Religionstiroler

Ähnlich wie Arendt, aber doch in der westdeutschen Nachkriegskultur weitaus wirkmächtiger, waren Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, die stets als jüdisch galten. Waren sie es wirklich? Das wird man so jedenfalls von Adorno nicht behaupten können, dem Sohn einer italienischen, einer katholischen Mutter, dem nichts unsympathischer war als das jüdische Philosophieren Martin Bubers, den er in den 30er-Jahren spöttisch als »Religionstiroler« bezeichnet hatte. Andererseits lässt sich nicht bestreiten, dass es wohl Adorno war, der jenen Satz formulierte, der in der 1947 publizierten Dialektik der Aufklärung das, worum es dem Judentum immer auch ging, in unmissverständlicher Klarheit zum Ausdruck gebracht hatte: »Gerettet wird das Recht des Bildes in der treuen Durchführung seines Verbots.«

Quelle: Essay: Marxisten und Religionstiroler | Jüdische Allgemeine

Theater: Alles, außer gewöhnlich

Über die Kunst haben Avishai Milstein, Sara von Schwarze, Avi Kaiser und Sergio Antonino den Weg in die Privatsphäre des deutsch-israelischen Publikums gefunden und sich selbst künstlerisch herausgefordert. Für Milstein lag zumindest ein Ansatz irgendwann klar auf der Hand: »Wenn man die deutsche Kultur leben oder erleben will, darf man sich nicht dauernd fragen: Was ist wichtiger, deutsche Kultur oder deutscher Antisemitismus?«

Quelle: Theater: Alles, außer gewöhnlich | Jüdische Allgemeine

Alles dreht sich. Und alles dreht sich um ihn

M. Werner: Am Hang
M. Werner: Am Hang
»Ich schloss die Haustür ab und setzte mich wieder. Dann tippte ich zwei Sätze. Alles dreht sich. Und alles dreht sich um ihn. – Ich kam nicht weiter. Ich konnte, was mich umtrieb, nicht in die Tasten hacken. Ich ging im Zimmer herum. Tassos Foto, es steht auf dem Bücherregal, erinnerte mich an seinen Füllfederhalter, den ich von Magdalena als Andenken bekommen hatte. Natürlich, dachte ich und holte ihn samt Tintenfässchen aus der untersten Schreibtischschublade hervor. Er roch ein wenig so, wie meine Großmutter gelegentlich gerochen hatte, ich glaube, nach Kampfer. Ich reinigte die Innenteile und das Reservoir mit Wasser, und dann zog ich die alte, blaue Tinte auf. Als ich zu schreiben begann, nahm er sehr rasch die Temperatur meiner Hand an.«
Dies ist der letzte Absatz aus »Am Hang«.[bibshow file=wtbib2011.bib] [bibcite key=Werner2004a] Markus Werner starb gestern im Alter von 71 Jahren in Schaffhausen.
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