Mythos Schrift

Der Tod des Sokrates
In Platons Phaidros wird die Schrift im Rahmen eines ägyptischen Mythos als göttliches Geschenk gegen die Vergesslichkeit gepriesen. Sokrates bestreitet aber, dass die Menschheit dadurch klüger wurde. Wer sich durch Schreiben externen Speicher schaffe, stärke sein Gedächtnis nicht sondern ersetze es und werde dadurch erst recht vergesslich. Wenn überhaupt würde ein Text als Erinnerungshilfe auch nur demjenigen etwas nützen, der ihn geschrieben hat und weiß, was darin steht.

[59. Scheinbarer Nutzen des Schreibens: der Theuth-Mythos] Aus urheberrechtlichen Gründen leider nicht mehr online zugänglich. 🙁

*Bild: The Death of Socrates by Jacques-Louis David, 1787 (wikimedia)

Den Wolf umarmen

»Schriftsteller sind potentielle Selbstmörder, die sich ins Wort retten, um überleben zu können. Wirklich, ich wüsste nicht, wie ich gewisse Situationen im Leben überstanden hätte, wäre es mir nicht gelungen, sie Satz um Satz in Form zu bringen.«

Luise Rinser: Den Wolf umarmen. Fischer Taschenbuch Vlg. Dezember 1984 – kartoniert – 411 Seiten. ISBN: 3596258669

Oscar kommt, wenn das Leben geht

Pflege-Kater: Oscar kommt, wenn das Leben geht

Oscar fasziniert das medizinische Personal mit einer besonderen Fähigkeit: Der Kater sagt in einem Pflegeheim im US-Staat Rhode Island den Tod von Patienten voraus, indem er sich für die letzten Stunden ihres Lebens neben sie legt. In 25 Fällen traf seine „Vorhersage“ bislang zu.

Das Pflegepersonal ist inzwischen dazu übergangen, die Angehörigen zu verständigen, wenn sich der Kater zu einem Patienten gelegt hat. Denn das bedeutet in der Regel, dass der Kranke noch weniger als vier Stunden lebt.

siehe auch: SPIEGEL ONLINE – 26. Juli

Hoch oben in der guten Luft

so der Titel eines schmalen Bändchens von Unda Hörner über die literarische Bohème in Davos. Ein Kapitel europäischer Kulturgeschichte in vier biographischen Episoden mit vielen Originalzitaten. Katia & Thomas Mann, Gala Dalí & Paul Éluard, Mopsa Sternheim & René Crevel und Klabund.

Als Luftkurort für Lungenkranke war Davos schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts en vogue. Die Patienten – vom hüstelnden Hypochonder bis zum tatsächlich Todkranken – kamen aus aller Herren Länder angereist. Nicht nur Thomas Mann ließ sich von der elegant-morbiden Atmosphäre in den Lungensanatorien zum »Zauberberg« inspirieren. Der tuberkulosekranke Dichter Klabund schrieb in Davos Gedichte über skurrile Schwindsüchtige und seine atemlose Erzählung »Die Krankheit«. Der Pariser Surrealist Paul Éluard wurde hier zum Dichter: In der Schweiz begegnete er der Liebe seines Lebens, der Russin Gala, die seine Muse auch dann noch bleiben wird, als sie längst Dalís Gala geworden ist. Éluards ebenfalls an Tb leidender französischer Surrealistenkollege René Crevel legte in Briefen an seine Freundin Mopsa Sternheim Zeugnis von seiner Kur ab und publizierte 1929 den Davos-Roman »Seid ihr verrückt?« Hier schließt sich der Kreis: Klaus Mann besucht den »Zauberberg« seines Vaters, um den geliebten René zu besuchen.

»Es wurde getanzt, gelacht, gesungen, gehustet und auf den Korridoren geküsst.“ schrieb Klabund. – „Er hielt ein blaues Speiglas, auf dem eine sonderbare Tabelle angebracht war, gegen das Licht. Zehn Kubikzentimeter Auswurf‘ lächelte er, von irgendeiner inneren Fröhlichkeit betroffen.« (Klabund: Die Krankheit)

»Elende Internationale der verfaulten Brustkörbe, Bazillensyndikat, Husten-Freimauererei, die seit der Romantik Skelettreize zur Schau stellt, Cousinen des gespreizten kleinen Fingers bürgerlicher Prätention, wenn sie ihre Mokkatasse an ihre ekelhaften Lippen hebt.« (Crevel: Seid ihr verrückt?)

Unda Hörners biographische Skizzen sind die ideale Bettlektüre für literarisch ambitionierte Hypochonder.