Wenn ich an meinem Roman schreibe

»Wenn ich an meinem Roman schreibe, habe ich nicht bloß die ständigen Fluchtinstinkte zu unterdrücken (die Widerstände), nein: Ich ertappe mich dabei, dass ich – wie ein Kind, das erst die Aufgaben machen muss, bevor es hinaus darf – dauernd an irgendwelche Vergnügungen denke, die ich mir nachher oder danach werde leisten dürfen. Als hätte ich ein Pensum zu absolvieren, als würde ich mir mit dem Schreibpensum ein bisschen Lebensabenteuer (Lebenserwartung) verdienen. Eigentlich komisch, denn wenn ich an einem Essay sitze, geht es mir anders. Ich fühle mich dann viel weniger in Klausur oder im Gegensatz zum Leben, weniger ausgesperrt. Ich kann kontinuierlicher und eigentlich auch genussvoller vor mich hin arbeiten. Warum dies ? Ich deute mir’s so.

Das dichterische Schreiben ist viel mehr Leben abgeben im Sinne von Wärme abgeben. Ist viel stärker mit vitalen Verlusten verbunden, deshalb dieses Bedürfnis nach Leben im Sinne von etwas zu mir nehmen, aufnehmen, konsumieren. Das Dichten ist Leben abgeben, und deshalb sträubt sich alles dagegen.

Oder auch: Das Dichten ist etwas »Sündiges«, ist ein Sichvergreifen am Leben, ist verbunden mit der Möglichkeit des Fehls, des Lebensverfehlens (zumindest) des endgültigen Sichtäuschens und des Schlags ins Leere. Ist Konfrontation mit der letztlichen Ungreifbarkeit, Unerreichbarkeit, Unhaltbarkeit des Lebens, deshalb stellt sich schon im Akt des Schreibens dieser Appetit auf Leben ein.«

Paul Nizon, Die Erstausgaben der Gefühle Journal 1961 1972, Frankfurt 2002 S. 136

Kindliche Ich-Erzähler

»Kindlichen Ich-Erzählern in der Literatur, sofern sie nicht durch eine besondere Begabung legitimiert sind wie Oskar Matzerath oder sofern sich der Bauchredner, als dessen Puppe sie agieren, nicht zu erkennen gibt, begegne ich fast immer mit Widerwillen; autobiographischen Kindheitserinnerungen misstraue ich ganz und gar, meinen eigenen auch. Ich erinnere mich wenig an meine Kindheit und habe trotzdem eine genaue Vorstellung von ihr. Wie die meisten Menschen habe ich mich in meinem Leben hin und wieder gefragt, warum ich wohl geworden sein könnte, wie ich bin, und ich habe mir zu verschiedenen Zeiten verschiedene Antworten gegeben. Vielleicht habe ich dabei die kleinen Szenen und flüchtigen Skizzen den großen Gemälden geopfert, die ich mir in wechselnden Stilarten von meiner Kindheit gemalt habe.«

Quelle: Maron, Monika: Pawels Briefe : eine Familiengeschichte. Frankfurt am Main : S. Fischer, 1999. – ISBN 3-10-048809-1. S.165

Subtiler Unterschied …

»Ich finde, es macht einen subtilen Unterschied zu fragen: Warum sind wir geworden, was wir geworden sind? – oder: Wie sind wir geworden, was wir geworden sind? Das »Warum« erklärt und hat etwas mit Rechtfertigung zu tun. Das »Wie« beschreibt, schliesst das »Warum« teilweise mit ein, ohne das Rechtfertigende zu betonen. Das »Wie« liegt näher am Erzählen und der Literatur. Das »Warum« gleitet leicht ins historisch Soziologische mit einem Hang zu erhobenem Zeigefinger und zur Pädagogik.«

Gila Lustiger: „Literatur im Foyer“ mit Martin Lüdke. Freitag, den
16.12.2005

Kleine Fabel

»Ach«, sagte die Maus, »die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu, dass ich schon im letzten Zimmer bin, und dort im Winkel steht die Falle, in die ich laufe.« – »Du musst nur die Laufrichtung ändern«, sagte die Katze und fraß sie.
(Franz Kafka)

Eine Art Lustkotzen

»Ja, es ist eine Art Lustkotzen (wie Angstbeißen bei Hunden, nur leiden daran diejenigen, die gebissen werden), man will es nicht, aber man muss, und es ist ein unglaublich befreiendes Gefühl, wenn alles rauskommen darf. Man tut ja immer, was man muss. Jetzt möchte ich einmal ausprobieren, wie es ist, wenn man tut, was man will. Aber ich glaube, das kann ich nicht.“
Elfriede Jelinek zum Thema Schreiben im WELT-Interview am 8.12.2004