»Kindlichen Ich-Erzählern in der Literatur, sofern sie nicht durch eine besondere Begabung legitimiert sind wie Oskar Matzerath oder sofern sich der Bauchredner, als dessen Puppe sie agieren, nicht zu erkennen gibt, begegne ich fast immer mit Widerwillen; autobiographischen Kindheitserinnerungen misstraue ich ganz und gar, meinen eigenen auch. Ich erinnere mich wenig an meine Kindheit und habe trotzdem eine genaue Vorstellung von ihr. Wie die meisten Menschen habe ich mich in meinem Leben hin und wieder gefragt, warum ich wohl geworden sein könnte, wie ich bin, und ich habe mir zu verschiedenen Zeiten verschiedene Antworten gegeben. Vielleicht habe ich dabei die kleinen Szenen und flüchtigen Skizzen den großen Gemälden geopfert, die ich mir in wechselnden Stilarten von meiner Kindheit gemalt habe.«
Quelle: Maron, Monika: Pawels Briefe : eine Familiengeschichte. Frankfurt am Main : S. Fischer, 1999. – ISBN 3-10-048809-1. S.165