Wie ein Wagen, dessen Räder im Schnee durchdrehen

Schreiben ist nicht identisch mit Selbstfindung. Es gleicht mehr der Arbeit an einem Objekt, das aus Charakteren, Handlungen und Wörtern gemacht ist. Ich arbeite die ganze Zeit.

ZEIT: Aber sind Sie glücklich?
Roth: Das frage ich mich niemals.
ZEIT: Warum nicht?
Roth: Weil es mich nicht interessiert. Ich frage mich nur: Geht es voran mit der Arbeit? Und wenn ich an einem Buch sitze, bin ich lebendig. Ich wache morgens auf und will sofort an die Arbeit. Die schlimmste Zeit ist diejenige zwischen zwei Büchern. Dann weiß ich nicht, was ich mit mir anfangen soll. Ich gehe in drei Museen, und dann ist das erledigt. Aber was soll ich mit meiner Zeit anfangen? Ich bin einfach zum Schreiben da, und wenn ich nicht schreibe, komme ich mir vor wie ein Wagen, dessen Räder im Schnee durchdrehen.

[Philip Roth im Gespräch mit Michael Naumann DIE ZEIT 29.01.2009 Nr. 06 ]

Ja, so ist es …

»Ich vermeide momentan jeden Kontakt mit Menschen, um klar zu kommen, die anderen regen mich zu sehr auf. Ist wirklich kein Zustand, aber ich muss klar bleiben, sonst verpasse ich die Erleuchtung. Wäre eigentlich schade, Strom ist sowieso schon knapp hier.«

schreibt Arno Reinfrank

Ich schreibe. Mit wirklich eiserner Disziplin …

Ich schreibe. Mit wirklich eiserner Disziplin räume ich mir jeden Tag zwei Stunden frei fürs Schreiben, entweder morgens vor der Arbeit oder abends danach. Für mich war das immer sehr wichtig. Wenn man den ganzen Tag mit anderen Textformen zu tun hat, von der Aktennotiz bis zum Roman, habe ich am Ende bei all der Hetze manchmal das Gefühl, jede eigene Sprache verloren zu haben. Da sitze ich dann da und denke, mein Gott, ich habe alles in irgendwelche Kanäle gestopft, meine Ideen, meine Energien, und jetzt bin ich ein leerer Sack. Und dann versuche ich, in dem ganzen Strudel mit meinen bescheidenen Mitteln irgendetwas zu retten von mir. Ich kenne meine Begrenztheit, keine Sorge, aber darum geht es nicht. Ich bin glücklich, wenn etwas gedruckt wird, aber wichtiger ist, dass ich es geschrieben habe.
[Michael Krüger im Gespräch mit Hanns-Bruno Kammertöns und Stephan Lebert. DIE ZEIT, 23.12.2008]

Keine Tabus

»Wenn man von festen Positionen des Sozialismus ausgeht, kann es meines Erachtens auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben.«
[Erich Honecker, 1972]

Das Gedicht

»Alle Menschen dichten fast pausenlos, in Tagträumen, in ungeäußerten Wünschen, auch im Schlaf, meist ohne es zu wissen, meist ohne ihr Gedicht mitteilen zu können oder zu wollen. Das geschriebene Gedicht – nicht jedes, aber doch viele – ist ein Amalgam von Spontaneität und bewusster Kunst, manchmal Künstlichkeit (was nicht im herabmindernden Sinne gemeint ist). Es ist ein Stück Selbstverwirklichung, ein Stück Freiheit. Möglich, dass die künftige Gesellschaft, in der, laut »Kommunistischem Manifest«, »die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist«, eine Flut extrem subjektiver Gedichte hervorbringen wird. Vielleicht wird sie, im Gegenteil, keine Gedichte mehr kennen. Das Gedicht ist jedenfalls eine ziemlich unheimliche, weil gleichzeitig allgemeine und völlig einsame Erscheinung.«
[Stephan Hermlin, 1972]