fünf 2011

[20.05.2011]
»Stiller Raum, stille Nacht,
alles schläft, ich bin wach.
Die Welt dreht sich weiter für dich und für mich.
Nur, wo heute Nacht und Schatten sind,
war gestern noch Licht. «(Rio Reiser)

»Grossschot in der Rechten, Steuer in der Linken, und es war Zeit, dass ich rueber kam, denn ich dachte den bekannten langen Schlaf zu tun.« (Arno Schmidt: Schwarze Spiegel)

[22.05.2011]
»Zuerst lernt man leiden, dann lieben, dann Abschied nehmen und am Ende leben, ohne zu denken.« Homero Expósito »Naranjo en flor« (Blühender Orangenbaum)

vier 2011

[07.04.] Miserable Nacht. Die Kinder mit den Fahrrädern in den Kindergarten gebracht. – Gestern in der Post – Ulrike Bail: »wundklee streut aus. 47 gedichte über theodora«

es begann
als zwischen den tagen türen wuchsen
das gewitter einen grünen vogel gebar
da bemalte theodora die schwellen gelb
und lernte dietriche zu gebrauchen

[08.04] Heute Nacht mit meinen Cousinen und Mick Jagger im Hallenbad schwimmen; anschließend in Heidelberg auf dem Schloss, Keith Richard und Brian Jones waren mit von der Partie. Wir balancierten auf der Mauer der Scheffelterrasse.

Scheffelterrasse
Scheffelterrasse - Schloss Heidelberg

[09.04.] Traumfetzen aus dem Englischen Garten sind wohl dem Telefonat von gestern geschuldet.

[10.04.] Buchhändler P.B. bei der Durchsuchung seines Ladens von BKA Beamten erschossen; staatsgefährdende Schriften beschlagnahmt. – Alptraum der letzten Nacht.

[13.04.] Eine einzige Nacht einmal richtig durchschlafen, das wäre was.

Von Großsprechern und Phrasendreschern

» Um der politischen Versuchung nicht nachzugeben, muß man sich jeden Augenblick in der Kontrolle haben. Wie soll einem das gelingen besonders in einem demokratischen Staat, dessen Hauptschwäche es ist, dem ersten besten das Streben nach der Macht zu erlauben und seinen Ehrgeizregungen freie Bahn zu lassen. Daraus ergibt sich ein Gewimmel von Großsprechern, von Phrasendreschern ohne innere Bestimmung, irgendwelchen Narren, denen das Schicksal seine Prägung verweigert, unfähig zu reinem Wahnwitz, ungeeignet sowohl für den Triumph wie für den Zusammenbruch. Gerade ihre Nichtigkeit ermöglicht und sichert indessen unsere Freiheit, die von Ausnahmepersönlichkeiten nur bedroht werden. Eine Republik, die sich selbst achtet, müßte in Schrecken geraten beim Auftauchen eines großen Mannes, ihn aus ihrem Schoß verbannen oder wenigstens verhindern, dass sich eine Legende um ihn bildet.«

E.M. Cioran: Die Schule der Tyrannen

Sibylle Lewitscharoff: Die Straßenbahn fuhr in den Himmel

ZEITmagazin: Frau Lewitscharoff, hat es in Ihrem Leben eine Erfahrung gegeben, von der Sie im Rückblick sagen würden: Die hat tatsächlich etwas mit meinem Leben gemacht?

Sibylle Lewitscharoff: Ja, die hat es gegeben, eine wirkliche Rettungserfahrung. Ich war damals dreizehn Jahre alt und in einem immer noch sehr verwirrten Zustand, weil sich zwei Jahre zuvor mein Vater erhängt hatte. Der Tod des Vaters hatte mich herauskatapultiert aus der Kindheitswelt. Ich wurde binnen weniger Monate ein radikal anderer Mensch.

via Sibylle Lewitscharoff: „Die Straßenbahn fuhr in den Himmel“ ZEITmagazin, 30.12.2010 Nr. 01

Der Mann ist mehr mineralisch, die Frau mehr vegetabilisch

»Der Mann ist mehr mineralisch, die Frau mehr vegetabilisch.

(Zu der Schlegelschen Ansicht könnte man das noch hinzufügen, daß die kräuterfressenden Tiere den Philogynen und die fleischfressenden den Päderasten zu vergleichen wären. Umarmen ist Genießen, Fressen. Ein Weib ist wie der unsterbliche Eber in Walhalla alle Tage wieder speisefähig.)

Der Sinn überhaupt ißt, verdaut, sondert ab oder befruchtet, empfängt, wird befruchtet und gebiert. Die wahre Liebe ist nicht eine einzelne Blume, sondern eine vegetabilische Fabrik.

Neigungen sind das Analogon der Muskeln.
Schlafen ist Verdauen der Sinneneindrücke. Träume sind Exkremente; sie entstehen durch peristaltische Bewegung des Gehirns.«

Novalis: Schriften Bd.3 S.253, Eugen Diederichs, Jena 1907